Junge Männer ernten in Hamburgs Gärten Äpfel, die sonst vergammeln würden. Der Saft, der aus den Früchten gewonnen und verkauft wird, sichert 20 Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap.
(aus Hinz&Kunzt 225/November 2011)
Alex strahlt, während es um ihn herum Äpfel regnet. Der lange 28-jährige Gärtnergehilfe rüttelt mit einer langen Stange an den Ästen eines knorrigen Apfelbaums, um die reifen Früchte herunterzuholen. Etwa 50 Bäume auf einer Streuobstwiese in Curslack warten darauf, von ihrer Last befreit zu werden. Während Alex rüttelt, sammelt sein zarter Kollege Simon das duftende Obst anschließend auf. Prüfend wiegt er jede Frucht in der Hand und betrachtet sie von allen Seiten, bevor er sie zu den anderen in den weißen Sammeleimer legt. Äpfel mit Stellen bleiben liegen. Schließlich soll der Saft auch gut schmecken, der später in den stylishen Bügelflaschen unter dem Label „Das Geld hängt an den Bäumen“ verkauft wird.
Fünf Männer zwischen 19 und 36 Jahren sind auf der Wiese im Einsatz. Einige von ihnen haben eine Berufsausbildung abgeschlossen, einige sind angelernt, aber alle konnten aufgrund psychischer Probleme oder einer Lernbehinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen. Zwei in dem Trupp arbeiten für die Elbe-Werkstätten, zwei haben einen Vertrag mit der gemeinnützigen „Das Geld hängt an demnBäumen“ GmbH. Valentino, das Küken, macht erst einmal ein Praktikum. Aber alle hören, unabhängig vom Arbeitgeber, auf das Kommando einer Frau. Silke Stölting leitet heute die Gruppe an. Die 31-jährige Gärtnermeisterin ist resolut, aber auch feinfühlig im Umgang mit den Männern. Sie hat Geduld, verlangt ihren Mitarbeitern aber auch etwas ab. „Bei uns ist der Arbeitstag ein wenig kürzer und das Pensum geringer als in einem regulären Garten- und Landschaftsbaubetrieb“, so Silke Stölting. „Aber wir orientieren uns schon am ersten Arbeitsmarkt.“
Dass alle hier auf der Wiese arbeiten, verdanken sie einem Mann, der nicht mit den Händen, sondern mit dem Kopf arbeitet. Jan Schierhorn, Kommunikationsfachmann und Gesellschafter einer Marketing-Agentur, saß an einem lauen Sommerabend im Sommer 2008 in seinem Garten in Groß Borstel und blickte hinauf in die Äste seines Apfelbaumes. „Was machen die Leute nur alle mit ihren Äpfeln?“, fragte sich der 42-Jährige. „Wie viel Obst vergammelt hier einfach? Kann man daraus nicht etwas machen?“
Aus diesen Fragen entstand allmählich die Idee, das Obst aus den Gärten seiner Nachbarn pflücken zu lassen und daraus leckeren Saft zu pressen. Und zwar mit Hilfe von Menschen, die normalerweise nicht so leicht eine Arbeit finden. Nicht alle in seinem Viertel und in der Bezirksversammlung fanden seinen Vorschlag einleuchtend, aus Äpfeln Jobs zu machen. „Am Anfang gab es Buh-Rufe. Es hieß, ich wolle aus Arbeitslosen Kapital schlagen“, erinnert sich Schierhorn. „Am Anfang habe ich wohl zu viel ‚ich‘ gesagt und wollte das Projekt in meinem gewohnten Tempo durchziehen“, räumt der Unternehmer ein. „Aber im Bereich soziale Arbeit muss man ein wenig mehr Demut an den Tag legen und den Menschen auf Augenhöhe begegnen.“
Er war schon kurz davor aufzugeben. Aber schließlich fand er in den Winterhuder Werkstätten einen Partner, der an den Vorschlag glaubte und viel Erfahrung mit Menschen mit Handicap mitbrachte. Der Rest war einfach. Eine Mosterei in Fintel übernahm das Pressen und Jan Schierhorn sorgte für professionelles Marketing und ansprechendes Design. „Wir wollten 500 Flaschen pressen, aber es wurden 9000“, so Schierhorn. Die Resonanz war überwältigend. Die Nachbarn standen Schlange, um ihr Obst nicht länger im Garten vergammeln zu sehen und damit auch noch behinderten Mitarbeitern Arbeit zu geben.
Mit 10.000 Euro Preisgeld von der Körber-Stiftung kaufte Schierhorn einen Lieferwagen. Damit wird der naturtrübe Direktsaft aus ungespritztem Obst an Firmen- und Privatkunden geliefert. Auch im Hamburger Rathaus wird der Saft getrunken. Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet. Aus acht Mitarbeitern wurden 20. Und aus der Apfelernte und dem Saftvertrieb wurde ein das ganze Jahr arbeitender Garten- und Landschaftsbaubetrieb. „Ich wollte, dass die Männer das ganze Jahr über zu tun haben“, so Jan Schierhorn.
„Die Apfelernte ist ein Türöffner“, sagt Gärtnermeisterin Silke Stölting. „Die Kunden sehen wie wir arbeiten und sind angetan von unseren Leuten.“ Die Folgeaufträge sind allerdings nicht immer beliebt bei ihren Mitarbeitern. „Im Moment müssen wir viel wettern“, stöhnt Simon. Das heißt sie müssen in den sogenannten Wettern arbeiten, das sind Entwässerungsgräben, die von Gras befreit werden. Den ganzen Tag in Schräglage zu stehen, ist anstrengend. „Rasenmähen und Äpfelpflücken mag ich viel lieber“, sagt Simon.
Der sympathische 22-Jährige fühlt sich sichtlich wohl bei der Arbeit. Nach der Schule hat er als Lagerist gearbeitet. „Aber das Arbeitstempo war nichts für mich.“ Jetzt ist Simon bei der gemeinnützigen „Das Geld hängt an den Bäumen“ GmbH angestellt. „Hier fühle ich mich besser akzeptiert und verdiene auch mehr als vorher bei den Werkstätten.“
Seine Kollegen Samuel, Jesko, Alex und Valentino nicken zustimmend. Samuel hat gerade seinen Arbeitsvertrag bekommen. Der freundliche 27-Jährige ist froh, endlich seinen Platz gefunden zu haben. „Ich habe eine Ausbildung in einem Obst- und Gemüsebaubetrieb abgeschlossen und ein Praktikum nach dem anderen gemacht. Aber ich habe eine Lernschwäche und keinen Führerschein. Ein Festanstellung habe ich nicht bekommen.“
Zehn Eimer voller Äpfel sind mittlerweile in der Holzkiste des grünen Pritschenwagens gelandet. Große und kleine, grüne und rote. Was für Sorten das sind, weiß keiner so genau. Das spielt auch keine Rolle, Hauptsache es sind unterschiedliche. Je mehr Sorten, desto besser nachher der Geschmack. Silke Stölting blickt prüfend auf die Uhr. Es ist Zeit für die Mittagspause. Danach geht es weiter mit der Ernte. Das Geld hängt schließlich an den Bäumen.
Infos und Bestellung: www.dasgeldhaengtandenbaeumen.de
Text: Sibylle Arendt
Foto: Mauricio Bustamante